Quelle: Spiegel.de vom 22.09.05, Marc Störing
Egal ob über Links oder unter E-Mails: Disclaimer sind im Web allgegenwärtig. Da wird sich distanziert, gewarnt oder gar das Löschen einer Nachricht befohlen. Die juristischen Floskeln klingen imposant - sind jedoch meist völlig wirkungslos.
"Mit Urteil vom 12. Mai 1998 ... hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man ... Links ... ggfs. mit zu verantworten hat. ... Hiermit distanziere ich mich ausdrücklich von allen verlinkten Seiten."
Beim ersten Kontakt schon wirkt der allseits bekannte Disclaimer grotesk: Tante Elfriede liebt Häkelmuster, strickt eine Homepage und verlinkt auf Freundin Giselas Seite. "Auch ganz tolle Muster da" - aber davon "distanziert sich" Elfriede "ganz ausdrücklich". Was denn nun? "Tolle" Häkelmuster oder kritische Distanz?
Der Text beruht auf einem Missverständnis. Tatsächlich urteilte einst und übrigens niemals rechtskräftig das Landgericht Hamburg über die Haftung bei Links: Der Verurteilte hatte sich über den späteren Kläger geärgert und widmete dem eine giftige Homepage. Mitsamt Links zu fremden Seiten, die ihn unmissverständlich beleidigten. Die Richter verurteilten den wütenden Webbastler deshalb wegen Beleidigung. Er habe sich die ursprünglich fremden Schmähungen mit den Links "zu Eigen gemacht".
Die Pointe: Schon damals hatte die Homepage einen Disclaimer für fremde Links. Und den wischten die Richter als bedeutungslos vom Tisch. Nur wenn sich insgesamt aus der Homepage ergeben hätte, dass der Betreiber den verlinkten Beleidigungen gar nicht zustimmt, hätte er sich die nicht als eigene anrechnen lassen müssen. Wenn er "sich ausreichend davon distanziert hätte", hieß das im Gerichtsdeutsch.
Damit war das Missverständnis in der Welt.
Gut gemeint verbauten eifrig Webmaster die legendäre Klausel und "distanzierten sich". Überall und von allem und vor allem völlig wirkungslos. Denn die Hamburger Richter hatten das genau anders gemeint: Eine Klausel ist egal, es kommt auf die gesamte Seite an.
Doch da für Juristen nichts so einfach ist, gibt es durchaus Untertöne. Lange gingen Gerichte davon aus, die komplizierten Haftungsregelungen des Teledienstegesetzes und des Mediendienstestaatsvertrags schlössen ohnehin meist eine Haftung für Links aus. Erst im letzten Jahr erklärte der Bundesgerichtshof, die Vorschriften seien auf Links gar nicht anwendbar. Und das Oberlandesgericht Schleswig sprach einem Disclaimer doch eine gewisse, konstruktive Wirkung zu, ebenso das Landgericht Potsdam. Andererseits erklärten die Landgerichte Köln und Trier sowie die Oberlandesgerichte Hamburg und Düsseldorf Disclaimer für wirkungslos.
Und vielleicht schaden sie sogar. Denn bedeutsam ist der Haftungsausschluss nur bei Links zu rechtlich zweifelhaften Inhalten. Und hat nicht deshalb der Webmaster den Disclaimer eingebaut, weil er schlechten Gewissens wusste, auf den dunklen Seiten des Webs zu wandern?
War der Disclaimer bisher eine gut gemeinte aber - vorsichtig ausgedrückt - wirkungslose Marotte privater Homepages, so erliegen nun mehr und mehr auch Firmen dem Reiz des unerkannt Sinnlosen.
"Diese E-Mail enthält vertrauliche... Wenn Sie nicht der richtige Adressat... vernichten sie ... Weitergabe... nicht gestattet."
Solche oder ähnliche Sprüche machen die Runde. Der Disclaimer verlangt vom Empfänger Verschwiegenheit. Hat die E-Mail gar den Falschen erreicht, soll gelten, Lesen verboten, Löschen befohlen. Doch hilft so ein Text, E-Mail-Verkehr besser zu schützen?
Geht es um Vertraulichkeit, zählen Juristen verschieden Grundsätze auf. Da gibt es eine berufliche Verschwiegenheitspflicht, "vertragliche Nebenpflichten" oder ganz allgemein das Persönlichkeitsrecht des Versenders. Im Einzelfall kann der Empfänger deshalb tatsächlich verpflicht sein, den Inhalt einer E-Mail nicht in die Welt hinaus zu tragen.
Aber: Das gilt unabhängig von einem Disclaimer. Neue Pflichten - etwa auch zum Löschen - kann der gar nicht bewirken. Denn ein Vertrag kommt durch die einseitige Aufforderung nicht zustande. Im Gegenteil: Kaum jemand liest überhaupt den Disclaimer.
Auch das Urheberrecht könnte eine Verbreitung verbieten - allerdings nur in Ausnahmefällen. Die Latte der dazu erforderlichen "Schöpfungshöhe" liegt zwar nicht allzu hoch, aber alltägliche Formulierungen haben kaum Chance, als urheberrechtliches "Werk" durchzugehen - egal, ob der Disclaimer das behauptet.
Kurz: Disclaimer in E-Mails bewirken nicht mehr rechtlichen Schutz, als die Nachricht ohnehin schon hätte.
Das Feld der Disclaimer gilt juristisch als geklärt. Thomas Hoeren, Experte für Onlinerecht brachte es jüngst in einem Interview auf den Punkt: Disclaimer bei Links sind "für die Katz', sie bringen überhaupt nichts". Gleiches gilt für E-Mail-Disclaimer. "Sie verfehlen das Ziel", befand nun ein Aufsatz in der Fachzeitschrift "Multimedia und Recht" (Nr. 8, S. 501).
Nur ist das beim Nutzer noch nicht angekommen. Doch auch fernab von Disclaimern werfen zumindest Links noch Fragen auf. So reichte jüngst der Heise-Verlag Verfassungsbeschwerde ein. Es geht um Pressefreiheit und Urheberrechtsverletzungen bei Links. Genug Raum, für neue Missverständnisse und Märchen ... und Disclaimer.